Pressefreiheit

Pressefreiheit und kollektives Gedächtnis

Was erinnern wir durch die Massenmedien?

Seit Jan Böhmermanns satirischem Gedicht über den türkischen Präsidenten Recep Tayyib Erdogan wird in Deutschland erneut stark über den Stellenwert der Medien in der Gesellschaft diskutiert. Nun lässt sich trefflich über Jan Böhmermanns poetische Fähigkeiten streiten, die grundlegenden Fragen der Debatte sollte man aber nicht aus den Augen lassen:

 

Was ist Pressefreiheit?

Was ist Zensur?

Und warum ist Pressefreiheit überhaupt so wichtig?

Was ist Pressefreiheit?

Massenmedien wie Zeitungen, Fernsehen und Radio haben in Demokratien die Aufgabe, öffentlich zu kritisieren, zu kontrollieren und politisch zu bilden. Das Verständnis von Medien in demokratischen Gesellschaften fußt ganz grundlegend auf dem Prinzip der Freiheit: Freiheit der Information sowie politische und wirtschaftliche Unabhängigkeit. Außerdem kann sich jeder in Deutschland Journalist nennen, da es keine geschützte Berufsbezeichnung ist. Auch dies ist eine Form der Freiheit.

 

Massenmedien tun aber noch viel mehr, denn „alles, was wir über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien“ – wie es der Soziologe Niklas Luhmann prägnant auf den Punkt bringt. Wenn ich nicht selbst vor Ort gewesen bin und mit meinen eigenen Augen gesehen habe, wie Barack Obama als US-Präsident vereidigt wurde, kann ich mich nur auf die Medienberichte dazu verlassen. Und weil unsere Weltbilder zum großen Teil auch durch die Massenmedien konstruiert werden, ist es wichtig, dass ich durch sie eine Vielzahl an Informationen und Sichtweisen erhalten kann.

 

Einen Punkt gilt es noch zu betonen: Der Gedanke von rein objektiven Medien und Nachrichten ist ein Trugschluss. Jede Nachricht, die ein Journalist schreibt, ist gefiltert. Der Journalist selbst ist ja auch ein Mensch mit einem eigenen Weltbild, der sprachlich und bildlich transportierte Informationen auf seine subjektive Art verarbeitet – genauso wie ein jeder von uns.

 

Gefährlich wird es dann, wenn Dritte versuchen, Druck auf die Medien auszuüben, sobald die Medien ihre Berichterstattung nicht nach den von ihnen gewünschten Interessen ausrichten. Dies kann sowohl durch politische oder wirtschaftliche Abhängigkeit geschehen als auch durch die direkte oder indirekte Androhung von Repressalien.

 

In vielen Teilen der Welt war und ist es durchaus noch Realität, dass Journalisten bedroht, festgenommen oder gar getötet werden – wie ein Blick auf die Daten der NGOs Reporter ohne Grenzen und FreedomHouse verdeutlicht. Reporter ohne Grenzen stellt ganz aktuell fest, dass “Gewalt und Anfeindungen bis hin zu Todesdrohungen gegen Journalisten in Deutschland massiv zugenommen haben Deutschland rückt so im weltweiten Vergleich gleich vier Plätze ab auf Platz 16.

Warum ist Pressefreiheit überhaupt so wichtig?

Warum ist Pressefreiheit für ene offene Gesellschaft nun überhaupt so wichtig? Aus dem einfachen Grund, dass sich unser Wissen über die Welt eben zum großen Teil aus Massenmedien speist. Und dies hat fundamentale Auswirkungen auf unsere Weltbilder: Als wie kriminell ich z.B. eine Gesellschaft wahrnehme, hängt zum großen Teil damit zusammen, wie häufig in den Medien über Kriminalität berichtet wird.

 

Im Umkehrschluss bedeutet dies auch, dass Ereignisse, über die nicht in den Medien berichtet wird, nur schwer ins Bewusstsein der Öffentlichkeit durchdringen. Eine Zensur, die Journalisten vorschreibt, über welche Themen sie berichten oder nicht berichten dürfen und welche Wörter sie verwenden oder nicht verwenden dürfen, ist also ein mächtiges Herrschaftsinstrument.

Zensur der Erinnerung an die Vergangenheit

Dies gilt nicht nur für die Gegenwart, sondern auch rückwirkend für die Vergangenheit. Wir erinnern uns nicht nur als individuelle Personen, sondern auch als Mitglieder einer Gesellschaft. Dieses sogenannte kollektive Gedächtnis einer Gesellschaft ist sozial bedingt und wird kommunikativ weitergegeben.

 

Machthaber können durch Zensur der Medien also beeinflussen, was erinnert und was vergessen wird – ganz wie in George Orwells fiktiver Welt des Großen Bruders aus seinem Roman 1984. In dem Ministerium der Wahrheit schreiben die Mitarbeiter alte Zeitungsartikel um – sie „verwalten“ die historische Wahrheit. Sie tun dies so oft und lange, dass selbst die Mitarbeiter des Ministeriums der Wahrheit nicht mehr sagen können, was in der Vergangenheit wirklich passiert ist und was im Nachhinein umgedichtet wurde.

 

Eine Zensur der Medien löscht also Gegen-Erinnerungen und eliminiert mit ihnen verknüpfte Machtansprüche. Prägnant heruntergebrochen bedeutet dies: Was nicht öffentlich artikuliert werden kann, hat schlichtweg keine Daseinsberechtigung.

 

Zensur bedeutet aber nicht nur die Streichung unerwünschter Themen und Wörter. Zensur der Medien hat in totalitären Systemen auch dazu geführt, dass die Medien zu reinen Sprachrohren der Machthaber verkommen sind. So mussten z.B. die Zeitungen im damaligen sozialistischen Rumänien der 1980er Jahre die immer gleichen, seitenlangen Lobeshymnen auf den Sozialismus, dieser „Hebung der Menschheit, die Emporführung auf die höchsten Stufen des Fortschritts und der Zivilisation“, und den Diktator Nicolae Ceauşescu, „den größten Sohn des rumänischen Volkes, das Licht der Karpaten, der Sohn der Sonne, der Honig der Welt“, veröffentlichen.

 

Warum ist dies so gefährlich? Der US-amerikanische Psychologe und Nobelpreisträger Daniel Kahneman hat dazu die passende Antwort: „Ein sicherer Weg, um Menschen Falsches glauben zu lassen, ist konstante Wiederholung. Vertrautheit ist nicht einfach von Wahrheit zu unterscheiden. Autoritäre Systeme und Werbeleute haben dies schon immer gewusst.“

Pressefreiheit – die Basis der Demokratie

Beschneiden wir also die Medien der Pressefreiheit, ziehen wir unserer demokratischen Gesellschaft den Boden unter den Füßen weg – ohne freie und kritische Medien, die hinterfragen, beleuchten und kritisieren, ist eine aufgeklärte und demokratische Gesellschaft nur schwer zu verwirklichen.

 

Pressefreiheit ist also ein kostbares Gut!


Zuerst erschienen auf The Mig Post (eingestellt) im April 2016

© Picture: Anthony Bevilacqua on Unsplash


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