"Wir haben unsere Sprache missbraucht,
eine Flut von superlativischen Adjektiven verwendet.
Der bombastische Stil liegt uns im Magen. [...]
Wir wollen nüchtern denken und wieder sachlich berichten,
mit spitzer Feder kommentieren. [...]
Während die Schüsse verhallen, lernen wir schreiben."
- Neuer Weg vom 27. Dezember 1989 -
George Orwells düstere Dystopie 1984 hat in den vergangenen
Jahren wieder die Bestsellerlisten erobert. Ein bedeutender Aspekt seines Buches ist die Sprachform Newspeak
– eine Kontrolle des Denkens durch die Kontrolle der Sprache. Die allumfassende und beängstigende Macht des "Big Brothers" wird durch die Verdrehung der Sprache ermöglicht und
gefestigt.
Orwell hatte erkannt: Wer die Sprache der Menschen kontrolliert, beeinflusst ihr Denken und Fühlen. Da wir uns durch die Sprache, durch Begriffe die Welt begreifbar machen, werden Ideen buchstäblich unbegreiflich, wenn uns die Wörter fehlen. Wenn ein Mensch Wörter wie Freiheit nicht mehr kennt, kennt er früher oder später auch nicht mehr die Idee der Freiheit. Er ist also in seinem Denken beschränkt, weil er keine Möglichkeit mehr hat, sich selbst und anderen gegenüber sein Denken begreifbar zu machen.
Neben dem individuellen Erleben speist sich unser Weltbild zu einem großen Teil aus den Medien. Denn alles, was wir "über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien", wie es Niklas Luhmann bereits so treffend formulierte. Eine Zensur der Sprache und der Medien bedeutet so nichts anderes, als dass Machthaber beeinflussen können, was wahrgenommen, was erinnert und was vergessen wird. So wie Orwells Ministry of Truth, dessen Aufgabe es ist, die Realität zu „verwalten“ und gegebenenfalls umzuschreiben. Diese mit Sprache re-konstruierten Erinnerungen dienen als Legitimation (politischer) Macht.
Orwell hatte mit bemerkenswerter Klarheit ein Phänomen beschrieben, welches sich in den anschließenden Jahren im wahren Leben voll entfaltete. In den sozialistischen Systemen entwickelte sich durch Zensur, Sprachregelungen und außersprachliche starre Reglementierungen ein eigenwilliger Sprachgebrauch, die sogenannte langue de bois (dt.: hölzerne Sprache). Ein in der deutschen Linguistik nur vereinzelt aufgegriffener Terminus, der international durch die gleichnamige Monographie der französischen Historikerin Françoise Thom Ende der 1980er an Bedeutung gewann.
Das Besondere an der langue de bois ist, dass es sich hierbei um ein einzelsprachenübergreifendes Phänomen handelt. So unterschiedliche Sprachen wie das Chinesische, das Russische, das Deutsche und das Rumänische weisen darin gemeinsame Charakteristika auf. Deshalb wurde in der Forschung bereits darüber diskutiert, ob es sich hierbei um eine "Art sozialistischer Einheitssprache in Bezug auf Anschaulichkeit und stilistische Eleganz" (Müller 1995: 335) handelt.
Die Grundlage der langue de bois war das sozialistische Pressekonzept mit den bereits von Vladimir Iljitsch Ulanow, besser bekannt als Lenin, definierten Prinzipien der Propaganda, Agitation und Organisation. Die Medien sollten "bei der sozialistischen Erziehung der Massen, bei der Entwicklung des patriotischen Geistes und des revolutionären Elans der Werktätigen, bei der Herausbildung der neuen Denkweise, bei der Verwirklichung der Prinzipien der sozialistischen Ethik und Rechtlichkeit" (Ceauşescu 1982) mitwirken.
Die Presseerzeugnisse der sozialistischen Zeit waren insgesamt keine "neutralen" Dokumente des Zeitgeschehens, sondern hatten eine starke Bindung zu den regierenden kommunistischen Parteien, waren stets gefiltert, im kommunistischen Sinne korrigiert und wurden zur bewussten Steuerung der Bevölkerung eingesetzt.
Ein hervorragendes Beispiel für die langue de bois ist der mediale Sprachgebrauch im sozialistischen Rumänien – dort bekannt als limbă de lemn. In diesem Land gab es neben den rumänischsprachigen Medien auch Massenmedien der deutschsprachigen Minderheit. So lassen sich gleich für zwei Einzelsprachen aus demselben Land und demselben Zeitraum linguistische Untersuchungen anstellen.
Für die vorliegenden Beobachtungen – ein Auszug aus meiner Doktorarbeit – analysierte ich Zeitungstexte aus den letzten zwei Monaten vor dem Zusammenbruch des sozialistischen Systems in Rumänien im Dezember 1989. Darunter befanden sich auch Reden des damaligen Machthabers Nicolae Ceauşescu, die in den gleichgeschalteten rumänischsprachigen und deutschsprachigen Zeitungen des Landes komplett über mehrere Seiten verteilt abgedruckt wurden.
Charakteristika der langue de bois finden sich sowohl auf der Inhaltsseite als auch auf der sprachlichen Ausdrucksseite auf allen Ebenen
– von den einzelnen Wörtern, über Wortverbindungen
bis hin zu Äußerungseinheiten und Texten.
Auf den Ebenen der Lexik und Syntagmen, der einzelnen Wörter und Wortverbindungen, ist dieser Sprachgebrauch besonders gekennzeichnet durch eine Verengung des Vokabulars. Der Wortschatz ist begrenzt, redundant, selbstreferentiell und weist ein begrenztes Bedeutungsspektrum auf. Dabei werden nicht nur einzelne Wörter wiederholt, sondern auch ganze Wortverbindungen. Sie gewinnen an Festigkeit und werden dadurch zu sogenannten Kollokationen. Beispiele hierfür sind (Festigung/Sicherung der) Unabhängigkeit und (der) Souveränität Rumäniens oder die binäre Struktur Freiheit und Unabhängigkeit. In den untersuchten Texten finden sich auch oft Genitivaneinanderreihungen wie die Erörterung des Entwurfs des neuen Parteiprogramms.
Häufig ist auch ein gewisser Dreier-Rhythmus durch Wiederholungen parallel-syntaktischer Strukturen oder Aufzählungen. In Rumänien äußerte sich der verkrustete und starre Sprachgebrauch des Sozialismus zum Beispiel in solch überfrachteten Satzungetümen wie dem folgenden Ausschnitt einer Rede des damaligen Machthabers Nicolae Ceauşescus, die sowohl in rumänisch- als auch deutschsprachigen Zeitungen abgedruckt wurde:
Die Ebene der Äußerungseinheit und des Textes ist geprägt durch einen starken Nominalstil, häufigen Gebrauch von Passiv- und unpersönlichen Konstruktionen, vielen Komparativen und Superlativen sowie durch komplexe, übertrieben lange Sätzen mit parallel-syntaktischen Strukturen.
Der Imperativ wird häufig verwendet, wie auch Verben mit einer hortativen, auffordernden Bedeutung, sodass Handlungsaufforderungen überproportional häufig vorkommen. Besondere
Kristallisationspunkte sind die mit den Reden abgedruckten, redundanten Sprechchöre und die dazu gehörigen Einleitungen im Sprechchor wird (langanhaltend) gerufen.
Diese pseudo-spontanen Lobpreisungen vom Volk begleiteten die Inszenierungen seiner Reden. In ihnen kristallisieren
sich die wichtigsten Botschaften des rumänischen Sozialismus:
Nicolae Ceauşescu wird mit der RKP, der Rumänisch-Kommunistischen Partei, und Rumänien gleichgesetzt und identifiziert. Verstärkt wird dies durch parallele grammatische Strukturen und die Wiederholung seines Namens zu Beginn eines jeden Sprechchors, die schließlich in dem Ausruf Es lebe Ceauşescu! mündet.
Insgesamt zeichnet sich die langue de bois durch die Tendenz zu evaluierendem und aggressivem Sprachgebrauch aus. Hinzu kommen eine große Anzahl an Übertreibungen und Euphemismen. Unabhängig vom Sprecher, Zeitpunkt und den jeweiligen außersprachlichen Zusammenhängen wird stets der gleiche Sprachstil verwendet. Aus linguistischer Perspektive ist die langue de bois also von einer stilistischen Unmarkiertheit und einem sehr abstrakten Sprachgebrauch geprägt. Das alles trägt dazu bei, dass die langue de bois sehr voraussehbar ist.
Inhaltlich herrscht ein dichotomisches Grundprinzip vor, das Thom "Manichäismus" nennt – eine ewige Unterteilung in Gut und Böse. Dies zeigt sich auch in dem häufig betonten Gegensatz von WIR vs. die ANDEREN / "Die Kommunisten" vs. "Die Nicht-Kommunisten". Organismusmetaphern ziehen sich außerdem wie ein roter Faden durch die Texte: Die Gesellschaft wird verstanden als großer Gesamtorganismus mit einzelnen Entwicklungsstufen.
Die langue de bois ist so geprägt durch eine inhaltliche Verengung auf die einzige Funktion, der übergeordneten sozialistischen Ideologie zu dienen. Thom definiert deshalb die in der langue de bois verwendeten Wörter nicht mehr als in erster Linie selbstständige bedeutungstragende Einheiten, sondern lediglich als Mittel zum Zweck. Es drängt sich der Eindruck auf, dass keine neuen Gedanken kommuniziert, etwas Konkretes beschrieben oder Informationen im eigentlichen Sinne kommuniziert werden. Stattdessen findet lediglich eine Vergewisserung der eigenen sozialistisch-kommunistischen Identität durch Iterativität der Sprache statt. Denn Wiederholungen erzeugen Vertrautheit, erzeugen Glaubwürdigkeit.
Singuläre Ereignisse werden dabei zu simplen Abbildungen der eigentlichen Aussageintention – des Lobes des rumänischen Kommunismus – umgedeutet. Der kommunistische Diskurs wurde deshalb auch als eine asymmetrische, "antikommunikative Situation" (Glowinski 1995) beschrieben. Die langue de bois und ihre jeweiligen, einzelsprachlichen Ausprägungen waren somit Versuche, "das Denken zu vernichten", wie dies die rumänische Philologin Tatiana Slama-Cazacu treffend beschreibt.
Die vorliegende Analyse basiert auf Auszügen meiner Doktorarbeit “Sprache – Macht – Revolution.