Der Mensch ist in seinem Menschsein an zwei grundlegende Kategorien gebunden: Das Leibapriori/Sinnlichkeit und das Sprachapriori/Sprachlichkeit.
Zum einen nehmen wir alles, was wir von der Welt um uns herum wahrnehmen, durch unsere Sinne wahr. Immanuel Kant hat dies in seiner Erkenntnistheorie und der grundlegenden Frage Was kann ich wissen? aufgegriffen. Zum anderen verwenden wir Sprache, um uns mit anderen Menschen zu verständigen und um unsere Wahrnehmungen der Welt begreifbar zu machen. Außerhalb unserer eigenen Sinneserfahrungen begegnet uns die Welt als eine vertextete, eine versprachlichte Welt.
Dabei ist Sprache kein neutrales Medium, mit dem die Welt realitätsgetreu abgebildet wird. Wenn mit Sprache auf Personen und Sachverhalte Bezug genommen wird, wird unser Denken über sie bewusst und unbewusst durch die Versprachlichungen beeinflusst.
Die von uns verwendete Sprache aktiviert in unserem Denken Wissens- und Deutungsrahmen, sogenannte Frames. Diese Wissensrahmen bilden den
Hintergrund, von dem aus wir die Wörter deuten und verstehen. So formt Sprache unser Denken und somit eben auch unsere Weltbilder.
Frames sind keine isolierten Größen, sondern eng miteinander zu einem Netzwerk verwoben und verknüpft. Ein Wort ruft somit nicht nur einzelne Frames auf - es wird ein ganzes Netzwerk an Deutungs- und Wissensrahmen aktiviert.
Wie sehr Sprache durch Framing unser Denken beeinflusst, bleibt uns aber zumeist verborgen, da der größte Teil des Denkens unbewusst erfolgt. Der Nobelpreisträger und Psychologe Daniel Kahneman hat nachweisen können, dass über 90% unserer Denkprozesse außerhalb unserer bewussten Wahrnehmung liegen.
Selbst die Art und Weise, wie wir vermeintlich "harte Fakten" sprachlich präsentieren, beeinflusst unsere Wahrnehmung. Wir kaufen den Käse im Supermarkt eher, wenn auf der Packung steht, dass er zu 2/3 fettfrei ist, als wenn auf der Packung steht, dass er 1/3 Fett enthält. Und selbst bei Entscheidungen, bei denen es um viel Dringlicheres als den Fettgehalt geht, werden wir von der sprachlichen Präsentation beeinflusst.
Daniel Kahneman ließ Testpersonen entscheiden, ob schwerkranke Patienten operiert werden sollten. Eine Gruppe erhielt die Information, dass die Operation mit einer 10% Sterblichkeitsrate einhergehen würde, eine andere Gruppe erhielt die Information, dass der Patient die Operation zu 90% überleben würde. Die Faktenlage war dieselbe, einzig die sprachliche Präsentation variierte – und diese führte dazu, dass sich die Studienteilnehmer anders entschieden!
Es geht sogar noch einen Schritt weiter: Sprache formt nicht nur unser Denken und unsere Weltbilder, sondern wirkt sich auch direkt auf unser Handeln aus. Es reicht für unser Gehirn bereits aus, Wörter zu hören bzw. zu lesen, um körperliche Prozesse, die mit den jeweiligen Wörtern assoziiert werden, zu aktivieren und gedanklich zu simulieren.
Lesen wir Wörter wie Erbrochenes, verziehen wir aus Ekel bereits das Gesicht. Diese Prozesse der Embodied Cognition laufen im Regelfall unbewusst ab. Wir
nehmen zumeist gar nicht wahr, dass wir z.B. langsamer gehen, nachdem wir Texte gelesen haben, in denen Wörter auftauchen, die im Allgemeinen mit dem Alter verbunden werden. John Bargh, Mark Chen
und Lara Burrows haben dies in den 1990er Jahren bereits in Untersuchungen nachgewiesen.
Sprache wirkt sich also auf unser Denken und Handeln aus und perspektiviert unsere Wahrnehmung von Personen, Objekten, Ereignissen, Sachverhalten – mitunter schafft sie sogar ganz neue Sachverhalte bzw. ein Bewusstsein für sie.
Abstrakte Wörter wie Freiheit, Demokratie, Liebe bezeichnen einen nicht mit den Händen greifbaren Sachverhalt – die Art und Weise, wie wir sie benennen und mit welchen Deutungen wir bestimmte Benennungen dann wiederum füllen, wirkt sich auf unser Verständnis dieser Sachverhalte aus. Diese sich in Sprache manifestierenden Spuren des Denkens können durch linguistische Analysen herausgearbeitet werden.
Obwohl jeder Mensch als Mitglied einer Gesellschaft Sprache verwendet, ist die Reflexion über Sprache aber nicht selbstverständlich und die Wissenschaft von der Sprache als eigene wissenschaftliche Disziplin noch relativ jung. Die Linguistik, wie die Sprachwissenschaft auch genannt wird, ist die einzige Disziplin, bei der Untersuchungsobjekt und Untersuchungsmedium miteinander übereinstimmen: Man betrachtet Sprache mit Sprache und redet darüber wiederum mit Sprache.
Der Linguist ist dabei wie jeder andere Sprachnutzer auch an die Einschränkungen der Sinnlichkeit und Sprachlichkeit gebunden: Er befindet sich also in einer semiotischen Gefangenschaft, der er nicht entfliehen kann. In Anlehnung an den Philosophen Ludwig Wittgenstein kann also gesagt werden, dass die Grenzen der Sprache auch die Grenzen unserer Weltbilder sind.
Sprachliche Aussagen in Texten und Gesprächen sind miteinander vernetzt. Diese Wissensnetze, mit denen Macht ausgeübt wird, nennt die Linguistik Diskurse. Untersucht werden sie mit Mitteln der linguistischen Diskursanalyse.
Da mit Sprache Wissen gebildet wird, steht das Phänomen auch in einem bedeutenden Spannungsverhältnis zu Medien, Politik, Ideologie und dem individuellen und kulturellem Gedächtnis.